“Gott ist hier!”
In Zeiten sinkender Mitgliedszahlen haben es viele Kirchengemeinden schwer, Menschen mit ihrer Botschaft zu erreichen. Nicht so die Junge Kirche Berlin. Was macht diese Gemeinde anders?
Fast möchte sich Alexander Garth bei seinen Zuhörern entschuldigen.
Er hat länger gesprochen als sonst, „aber es ist so eine geile Geschichte!“ Seine Begeisterung kann er nicht verbergen.
Er steht auf der Bühne eines niedrigen Dachgeschossraumes irgendwo im Osten Berlins. Die Stuhlreihen, die sich vor ihm ausbreiten, sind fast vollständig besetzt. In der Mitte ist ein Holzkreuz aufgestellt. Davon abgesehen deutet wenig darauf hin, dass dies eine Kirche ist.
Außer Alexander Garth. Er läuft auf der Bühne hin und her, unterstreicht seine Worte mit weiten Armbewegungen. Heute erzählt er die biblische Geschichte von Simson, dessen lange Locken ihn unbesiegbar machen sollten. Auch Alexander Garth hat blonde Locken, sie gehen ihm bis zum Kinn. Auf seinem schwarzen T-Shirt schimmert der silbrige Aufdruck eines Kreuzes.
Etwa 150 Menschen hören ihm zu, viele sind um die Zwanzig, tragen Jeans und T-Shirts. Sie lachen, als Alexander von Delila erzählt, der Frau, „gebaut wie eine Rennyacht“, die Simson zu Fall bringen wird. „Also, so steht das nicht in der Bibel, aber das denke ich mir so“, ruft er in das Gelächter hinein.
Diese Gemeinde, die Junge Kirche Berlin, ist in vieler Hinsicht ungewöhnlich. Vielleicht ist es die größte Überraschung, dass es sie überhaupt gibt. Denn hier in Berlin-Lichtenberg, im ehemaligen Ostteil der Stadt, gehören nur fünf Prozent der Bevölkerung überhaupt einer christlichen Kirche an. Die Junge Kirche Berlin ist ein missionarisches Projekt: Sie will Menschen erreichen, die noch nie in der Kirche waren. Alexander Garth hat sie vor acht Jahren gegründet. Anfangs trafen sie sich zu siebt bei ihm im Wohnzimmer, mit der Zeit kamen immer mehr Leute dazu, so viele, dass die Nachbarn die Polizei riefen, weil es zu laut war.
Seit zweieinhalb Jahren haben sie die Räume im fünften Stock eines Wohnhauses gemietet. Wenn gesungen wird, springen einige Teilnehmer auf und schließen die schrägen Dachfenster, aus denen man über die angrenzenden Häuser schauen kann. Und es wird viel gesungen in diesem Gottesdienst. Lobpreisung nennen sie das.
Eine junge Frau mit rotem Lippenstift und schwarzen Haaren tritt ans Mikrofon und kündigt das nächste Lied an, die nächste Lobpreisung. „Gott ist hier!“, fügt sie hinzu, mit einer Sicherheit, die sich wohl nur im Glauben finden lässt. Die Texte werden an die Wand projiziert, Zeilen wie „to the king eternal“ und „Ich lieb’ dich, Gott.“ Die Menschen singen laut mit, einige heben eine Hand nach oben, als wollten sie nach Gott greifen. Ein Mädchen in der vorderen Reihe tanzt, beide Hände über den Kopf gehoben. Vielen scheinen diese Vorstellung zu teilen: Gott ist hier.
Diese Begeisterung für den Glauben will Alexander Garth wecken. In seinem Büro erklärt er später seine Art zu predigen so: „Es nützt nichts, eine 3000 Jahre alte Geschichte zu erzählen. Man muss sie den Menschen nahe bringen. Wir wollen einen Gottesdienst machen, bei dem es uns nicht peinlich ist, unsere Freunde mitzubringen.“
Sein Enthusiasmus grenzt an Hibbeligkeit. Immer wieder setzt er sich anders hin, tippt mit dem Fuß, macht ausladende Handbewegungen, verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Wenn Alexander Garth spricht, benutzt er ein Wort besonders oft: Gemeinschaft. Einmal sollte er für die evangelische Kirche in Berlin eine Liste seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter erstellen. Er reichte 120 Namen ein. „Ich habe praktisch die ganze Gemeinde gemeldet“, sagt er lachend. Das ist das Prinzip hier: Jeder macht mit. Die Mitglieder räumen auf, sorgen für Musik oder verkaufen Saft an der Bar im Vorraum. Der wichtigste Bereich jedoch ist, getreu dem missionarischen Anspruch der Kirche, andere für den Glauben zu begeistern.
Allgemeines Pfarrertum nennt Alexander Garth das, und wenn man den Gottesdienst besucht, weiß man, was er damit meint. Als ich mich in einer der hinteren Reihen niederlasse, vergehen kaum zwei Minuten, bis sich Patrick neben mich setzt, in schwarzer Trainingshose, ein Basketballkäppi auf den gegelten Haaren. „Glaubst du an Gott?“, will er wissen, noch bevor er meinen Namen kennt, um unmittelbar anzufügen: „Ich bin total fertig, ich war gestern auf ’ner Schaumparty.“
Das ist es wohl, was den Reiz dieser Gemeinde ausmacht: sie ist verwurzelt in persönlichem, emotionalem Glauben und schlägt gleichzeitig eine Brücke zur modernen Welt. Schaumparty und Lobpreisung sind kein Gegensatz. Glaube ist hier lebendig – wenn auch manchmal etwas zu aufgeregt.
Alexander Garth, der Mann mit den langen Locken, hat den Lichtenberger Atheisten einen Weg zu Gott gezeigt. Dass er dabei nicht, wie Simson, gescheitert ist, hat er den vielen Helfern zu verdanken, die er hier gefunden hat. Am Sonntag wird wieder ein Taufgottesdienst gefeiert. Es gibt Nachwuchs für die Junge Kirche Berlin.
Von Jessica Binsch
Fotos von Christian Weber, mehr Bilder von Christian hier.
Die Junge Kirche Berlin im Internet: Junge-Kirche-Berlin.de
3 Comments, Comment or Ping
christian
[...] einen Artikel über die JKB, den ich für sehr gelungen und vor allem auch witzig halte. Besonders bei der Stelle mit der Schaumparty [...]
Sep 1st, 2008
soenke
hi danke für den Artikel ja so sind wir !!!! komm vor bei und schau dich uns an bis dann
Sep 8th, 2008
Reply to ““Gott ist hier!””
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