Qualitätsjournalismus
Die schrecklichen Ereignisse von Winnenden wurden inzwischen medial verarbeitet und hundertfach durchgekaut. Was dabei heraus kam, war definitiv keine Sternstunde der deutschen Medienlandschaft. Auseinandersetzungen mit der Berichterstattung über den Amoklauf findet ihr unter anderem hier bei Spreeblick und hier bei Stefan Niggemeier (via Medienelite).
Die Tagesschau rühmt sich derweil, das Video mit den letzten Minuten des Täters nicht gezeigt zu haben – wohl aber ein verstörtes junges Mädchen – während das ZDF erklärt, das “Fälschen im Internet kinderleicht” sei (Video). Na sowas. Fast alle Medien haben inzwischen Fotos des Täters, Bilder seines Elternhauses, nennen teilweise die Adresse eben jenen Hauses, und Bild schießt wie immer den Vogel ab und druckt am Tag nach dem Amoklauf Bilder angeblicher Opfer (!!).
Viele Politiker ergehen sich ganz betroffen in Verbotsideen – Sportwaffen verbieten, Ballerspiele verbieten, Einlasskontrolle an Schulen. Einige dieser Ideen mögen sinnvoll sein, doch die tieferen Ursachen einer solchen Tat berühren sie nicht. Wie es mit 17 war, daran können sich viele scheinbar nicht mehr erinnern.
Die “richtigen” Journalisten haben trotzdem nichts besseres zu tun, als auf den “Pöbel” (stern) zu schimpfen, der seine ungefilterte Meinung und – oh schreck! – unbestätigte Gerüchte über Twitter und andere Plattformen verbreitet. Das machen die “seriösen” Medien natürlich nicht. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, doch einige haben es immer noch nicht kapiert.
Nachtrag, 16.3.: Die letzten Tage reichten offenbar nicht zur Selbstreflektion. Der Spiegel setzt nochmal einen drauf, mit Tim K. auf dem Titel. Wenn das mal keine verantwortungsvolle Berichterstattung ist. Natürlich aus reinem Informationsinteresse, nicht etwa aus Voyeurismus (siehe Bild 3 und 4). Da sind die Fotografen des Spiegels nämlich viel besonnener als andere Medienvertreter. Man weiß zu berichten:
“Am Freitagmorgen kam es dort [an dem Ort, wo die Opfer aufgebahrt waren] nach Polizeiangaben zu einem pietätlosen Vorfall: ‘Reporter versuchten, sich den Särgen zu nähern’, sagt [der Leiter der Kriminalpolizei Waiblingen] Michelfelder. ‘Es kam zu sehr unschönen Momenten.’”
Gut, dass der Spiegel sich dem nicht angeschlossen hat. Oder so ähnlich.
Nachtrag, 21.5.: Der Presserat hat die Bild-Zeitung und Bild Online für ihre sensationsheischende und pietätlose Berichterstattung gerügt. Meiner Meinung nach hätte praktisch jede zweite deutschsprachige Zeitung und/oder deren Internetableger eine Rüge vertragen. Aber die Bild, immerhin.
2 Comments, Comment or Ping
1000Sunny
Ich habe das bei der Tagesschau auch gelesen.
So eine Selbstbeweihräucherung. Die bekommen ihre Gelder ja auch per Zwang eingetrieben, sind nicht auf Quoten angewiesen und spielen sich jetzt auf, als ob sie die Moral erfunden hätten.
So tief wie die Bild sollte man allerdings nie sinken.
Mar 14th, 2009
Reply to “Qualitätsjournalismus”
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